Naturgefahren an der Axenstrasse: Ein Blick hinter die Kulissen
Wenn Personen oder Infrastrukturen von Naturprozessen gefährdet sind, nennt man das «Naturgefahren». Unsere Aufgabe ist es, diese Gefahren und Risiken richtig zu beurteilen, indem wir die geologischen Prozesse dahinter verstehen. Dadurch können wir Schutzmassnahmen empfehlen, welche effizient und zielführend sind – wie zum Beispiel im Gumpischtal, unserem derzeit akutesten Projekt an der Axenstrasse.
Als am 7. Januar 2019 oberhalb des Gumpischtals am Urnersee eine grosse, überhängende Felspartie abgebrochen ist, konnte der Verkehr unten auf der Axenstrasse unbehelligt weiterfahren. Die abgebrochene Felsmasse schlug rund 500 Höhenmeter oberhalb der Strasse auf, wurde teilweise richtiggehend zermahlen und in einzelne Blöcke unterschiedlicher Grössen verkleinert. Diese Sturzmasse lagerte sich im Gumpischtal bis rund 50 m oberhalb der Axenstrasse ab. Bis auf die Strasse schaffte es aber glücklicherweise kein Block.
Die abgelagerte Schuttmasse hat die Gefahrensituation auf der Axenstrasse im Bereich des Gumpischtals grundlegend verändert. Weshalb? Weil starke Niederschläge Murgänge auslösen können. Diese können entweder selbst bis zur Strasse gelangen oder Blockschläge verursachen, welche die Strasse erreichen. Das durch den Felssturz abgelagerte Material ist somit zu einer neuen Prozessquelle geworden. Bis heute kam es aus diesen Ablagerungen zu drei grösseren Ereignissen. Zuletzt in der Nacht auf den 3. Oktober 2019, als mehrere Schübe eines Murgangs bis in den Urnersee reichten.
Im Auftrag des Bundesamts für Strassen ASTRA sind wir mit dem Risikomanagement, dem Sicherheitskonzept der Bauarbeiten sowie der Mitarbeit bei der Massnahmenplanung betraut worden. Der Auftrag ist aus geologischer Sicht extrem spannend: Wie verhält sich die Schuttmasse in Zukunft? Gibt es Hohlräume zwischen der Schuttmasse, die durch Regengüsse aufgefüllt werden könnten? Kann sich das Material dadurch – beispielsweise in der nächsten Gewittersaison – reaktivieren und kann es daraus erneut zu grösseren Murgängen kommen? Oder entleeren sich die Sturzablagerungen wie erhofft portionenweise in vielen, kleineren Murgängen, so dass die Gefährdung kontinuierlich abnimmt?
Um Veränderungen frühzeitig zu erkennen, inspizieren wir die Situation im Gumpischtal regelmässig vor Ort – zum Beispiel mit Drohnenflügen.
Jan Nagelisen, GEOTEST AG
Die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer ist heute zudem durch diverse Steinschlagnetze, die Sprengung der heikelsten Felsblöcke, einen massiven Ablenkdamm und nicht zuletzt durch eine vollautomatische Überwachungs- und Alarmanlage sichergestellt. Diese funktioniert anhand von zwei Alarmierungslinien: Wird bei der oberen Alarmierungslinie eine Bewegung mit einer gleichzeitigen Erschütterung festgestellt, wird die Axenstrasse mittels einer Ampel automatisch gesperrt. Handelt es sich bei dem auslösenden Ereignis um einen Felsblock, bleiben dann rund 20 Sekunden, bis dieser – sollte er soweit kommen – die Axenstrasse erreicht. Erreicht er die zweite Alarmierungslinie weiter talwärts hingegen nicht – was bei den allermeisten bislang beobachteten Ereignissen der Fall war –, schaltet die Ampel nach wenigen Minuten automatisch auf grün, so dass die Strasse wieder entsperrt wird.
Wird die zweite Alarmierungslinie wenig über der Strasse aber erreicht, so bleibt die Strasse vorerst gesperrt und es ist eine Lagebeurteilung vor Ort notwendig. In diesem Fall begeben wir uns jeweils so schnell wie möglich vor Ort. Am Wochenende haben wir dafür extra einen Pikettdienst eingerichtet. Wir beurteilen dann, was aus geologischer Sicht passiert ist und vor allem, was noch passieren kann. Wir besprechen unsere Einschätzung dann unmittelbar vor Ort mit Vertretern des ASTRA, des Amtes für Betrieb Nationalstrassen AfBN, der Polizei und eventuell des Kantons und geben Empfehlungen ab. Die Behörden entscheiden anschliessend, welche weiteren Massnahmen getroffen werden sollen, - zum Beispiel eben ob die Axenstrasse gesperrt bleibt oder nicht.