Wenn ein Dorf rutscht – und was Geophysik damit zu tun hat
Das Bergdorf Brienz im Kanton Graubünden rutscht immer schneller in Richtung Albulatal – aktuell mit einer Geschwindigkeit von bis zu einem Meter pro Jahr. Das ist problematisch. Zusätzlich zu den betroffenen Bewohnern gilt es auch wichtige Infrastrukturen wie die Bahnlinie, Hochspannungsleitung und Kantonsstrasse zu schützen, denn diese Elemente rutschen mit.
Aufgrund der grossen Bewegungsraten hat die Gemeinde gemeinsam mit dem Kanton entschieden, Aufbau und Mechanismus der riesigen Rutschmasse genauer untersuchen zu lassen. Dafür müssen neben den Resultaten von gezielten Tiefbohrungen so viele räumliche Erkenntnisse wie möglich zusammengetragen werden. Es stellt sich dabei einerseits die Frage nach der horizontalen Abgrenzung der Rutschmasse und andererseits nach dem Verlauf und der Tiefenlage der Gleitfläche.
Die Hauptschwierigkeit liegt dabei in der grossen Mächtigkeit der Rutschmasse: Es interessieren die geologischen Schichten vom oberflächennahen Bereich bis in ca. 250 Meter Tiefe gleichermassen. Abgesehen von der ungewöhnlichen Grösse des Rutsches, sind wir mit dieser Aufgabenstellung aber bestens vertraut: Die Suche nach verschiedenen Gleit- und Bewegungshorizonten sowie deren lateralen Abgrenzungen gegenüber dem stabilen Untergrund gehören zu unseren Kernkompetenzen.
In Brienz wurden wir damit beauftragt geophysikalische Untersuchungen durchzuführen. Insgesamt haben wir dort fünf seismische Profile mit einer Gesamtlänge von 8'500 m und einer Erkundungstiefe von 250 m aufgenommen. Die angewandten hybridseismischen Messungen, bestehend aus Refraktionstomographie und Reflexionsseismik, sind besonders zur Lösung von komplexen geologischen Fragestellungen gut geeignet. Sie visualisieren den geologischen Schichtaufbau im Untergrund hochauflösend. Zusätzlich liefern geoelektrische Untersuchungen genauere Aussagen über allenfalls vorhandene Wasservorkommen im Bereich der Rutschmasse.