Lüssel – Erkenntnisse einer Revitalisierung
Wo heute die Wohnüberbauung «Lüsselpark» steht – beziehungsweise entsteht – war früher über hundert Jahre lang das Industrieareal der Firma von Roll. Die Lüssel war damals ein kanalisiertes Gerinne, vom Dorf her kaum sichtbar, geschweige denn zugänglich. Die Umnutzung bot endlich die Möglichkeit einer tiefgreifenden Verbesserung: Die Lüssel sollte in Zukunft einerseits als Naherholungsgebiet für die Bevölkerung dienen und andererseits einen ökologischen Mehrwert für Fauna und Flora generieren.
ZIELE ERREICHT
Beide Ziele sind in der Zwischenzeit erreicht worden: Die Ufer der Lüssel laden zum Verweilen ein und die Biodiversität konnte entscheidend gesteigert werden. Die verbesserte ökologische Gewässerfunktion wurde mit folgenden ingenieurbiologischen Massnahmen erreicht:
Gestaltung einer naturnahen Gerinnesohle
Initiierung einer vielfältigen und abwechslungsreichen Strömungsdynamik mit Tiefenvariabilität in der Sohle
Erhöhung der Strukturvielfalt mit Raubäumen, Uferfaschinen oder Störsteinen
Initialpflanzungen für eine standortgerechte Ufervegetation
Damit erreichte man folgende ökologischen Vorteile:
Für die Fische:
ein verbessertes Habitat mit erhöhtem Nahrungsangebot
Versteckmöglichkeiten vor Fressfeinden unter den Raubäumen
ein verbessertes Sohlensubstrat für die Fortpflanzung
Dadurch konnte der Fischbestand gesteigert und die Forellenaufzucht bzw. das Aussetzen von Jungfischen eingestellt werden.
Für die Pflanzen:
Bestockung eines vorher vegetationslosen Bachabschnitts
Eine erhöhte Vegetationsvielfalt durch standortgerechte Bepflanzung
Für die Vögel:
ein verbessertes Habitat mit Versteckmöglichkeiten in der Ufervegetation
bessere Nistmöglichkeiten
mehr Insekten bzw. grösseres Nahrungsangebot infolge Vegetation und kiesigen Flachufern
Der Erfolg zeigt sich unter anderem in der Sichtung von Wasseramsel, Eisvogel sowie diversen Enten- und Reihervögeln.
Hochwasserschutz
Auch der Hochwasserschutz lag in der Verantwortung von GEOTEST. Hierfür wurden Hochwassermodellierungen durchgeführt, um die Schutzhöhen zu berechnen. Auf dieser Grundlage wurden folgende Schutzmassnahmen projektiert:
Abdichtung sämtlicher Gebäudeöffnungen unterhalb der Schutzkote mit wasserdichten Fenstern und Türen.
Erstellung eines Alarmierungs- und Notfallkonzepts für Gebäudeöffnungen, welche infolge hoher Personenfrequenzen nur im Hochwasserfall geschlossen werden.
Die wichtigsten Erkenntnisse
Für die erfolgreiche Umsetzung der Revitalisierung an der Lüssel waren folgende Schlüsselfaktoren entscheidend:
Motivation von Gemeinde und Grundeigentümer zur Umsetzung von Aufwertungsmassnahmen an Fliessgewässern.
Frühzeitiger und fortlaufender Miteinbezug sämtlicher relevanter Akteure von der Projektierung bis zur Bauausführung.
Interdisziplinäre Projektierung, welche unter anderem die Aspekte Ökologie, Hochwasserschutz und Naherholung mitberücksichtigt.
Zu guter Letzt war auch die Aufwertung des Ortskerns durch die Revitalisierung ein massgebender Erfolgsfaktor. Im dicht überbauten Industrie- und Wohngebiet von Breitenbach konnte die Lüssel deutlich aufgewertet werden und es zeigte sich, dass Tiere und Pflanzen, aber auch die Bevölkerung den neuen Lebensraum sehr rasch angenommen haben.
Was ist eigentlich eine Revitalisierung?
Die Revitalisierung hat zum Ziel, die natürlichen Funktionen eines verbauten oder eingedolten oberirdischen Gewässers mit baulichen Massnahmen wiederherzustellen. Dabei sollen die Ursachen einer Beeinträchtigung (z. B. ungeeignetes Sohlensubstrat für die Fortpflanzung der Fische) und nicht die Symptome (z. B. zu wenige Fische) behoben werden.
In der Schweiz befindet sich rund ein Viertel aller Fliessgewässer in einem schlechten Zustand. Aufgrund des seit 2011 geänderten Gewässerschutzgesetzes sollen rund 4'000 km an Bächen und Seen revitalisiert werden. Dabei gilt es nebst ökologischen Zielen (z. B. Artenvielfalt, Gewässerraum, Geschiebetransport oder Wasserqualität), auch gesellschaftliche (z. B. Erholungsfunktion oder Hochwasserschutz) und wirtschaftliche Ziele (z. B. Unterhaltskosten oder Wassernutzung) gleichwertig zu berücksichtigen.