Gefahrenmanagement «Spitzer Stein»
Kandersteg, Berner Oberland
46° 28′ 39″ N, 7° 43′ 24″ O
2018 – heute
Ausgangslage
Die instabile Bergflanke am Spitzen Stei südlich des Oeschinensees zeigt seit einigen Jahren eine stark erhöhte Rutschaktivität. In vielen Bereichen werden Bewegungen von mehreren Metern pro Jahr verzeichnet. Häufige Steinschlagereignisse und Felsstürze sind ein klares Zeichen für die hohe Aktivität am Berg. Als Folge der starken und teilweise tiefgründigen Bewegungen drohen zukünftig grosse Felsabbrüche mit Volumen von 100'000 bis einigen Millionen Kubikmetern, mit entsprechend weiträumiger Gefährdung unterhalb des Spitzen Steis.
Die Instabilität umfasst eine Gesamtfläche von rund einem halben Quadratkilometer, mit einem Volumen von etwa 16 Millionen Kubikmetern bewegender Fels- und Schuttmasse. Diese Masse entspricht rund 13x dem Ausbruchsvolumen des Bergsturzes in Brienz GR vom Juni 2023.

Animierte Geländemodelle des Spitze Stei für die Jahre 2021 bis 2024. Die mittels Vermessungsdrohne aufgenommenen Geländemodelle repräsentieren den ausgeaperten Zustand der Rutschung Anfang Herbst (Aufnahmedatum oben rechts). Die farbigen Punkte dienen dem Vergleich mit den weiteren Animationen und Abbildungen.Zustand der Rutschung Anfang Herbst (Aufnahmedatum oben rechts). Die farbigen Punkte dienen dem Vergleich mit den weiteren Animationen und Abbildungen.
GEOTEST hat ein geologisches Prozessmodell entwickelt, um die Gefahren zu analysieren und verschiedene Abbruchszenarien zu modellieren. Zusätzlich wurden Messinstrumente installiert, um die Bewegungen der Lockergesteins- und Felsmasse kontinuierlich zu überwachen. Das Monitoring zeigt starke Bewegungen einer grossen Lockergesteins- und Felsmasse von unter einem Zentimeter bis hin zu über 10cm pro Tag. Ein wichtiger Faktor in diesem Prozess ist der auftauende Permafrost, der die Stabilität der Bergflanke beeinflusst.
Interaktives 3D-Modell
Geländebewegungen am Spitze Stei, 21. September 2020 – 23. August 2024. Die vier farbigen Punkte in der Frontansicht der Flanke (unten links) sowie den beiden Kartenansichten (Übersichtskarte sowie Grossansicht) dienen der räumlichen Orientierung. Der rote 25 m Massstab in der Grossansicht ermöglicht eine Einordnung der Geländebewegungen, welche verbreitet Werte von mehreren Metern pro Jahr erreichen. In mehreren Bereichen sind zudem Felsabbrüche erkennbar.
Frontansicht des Rutschgebietes mit Lage der installierten GPS und Messreflektoren. Bei den Reflektoren handelt es sich um die Ziele für die automatisierten Tachymetermessungen.

Animierte Fotos der Überwachungskamera Rosshubel, jeweils im September der Jahre 2021 bis 2024 aufgenommen. Die vier farbigen Punkte dienen dem Vergleich mit den oben gezeigten animierten Geländemodellen sowie dem 3D-Modell unten. Im Felsbereich oberhalb des orangen Punkts ist in der Frontansicht kaum Bewegung erkennbar, da sich der Bereich fast exakt gegen die Kamera bewegt.
Unser Auftrag
GEOTEST hat die Verantwortung für das Gefahrenmanagement am Spitzen Stei übernommen. Neben der Überwachung koordiniert sie die Erhebung und Analyse von Grundlagendaten, um die Gefahrenbeurteilung zu präzisieren. Zudem stellt GEOTEST einen Pikettdienst für die kontinuierliche Situationsbeurteilung bereit und entwickelt Sicherheitskonzepte sowie Notfallpläne. Diese Maßnahmen tragen nachhaltig zur Erhöhung der Sicherheit im Tal bei.
Mit der Drohne erstellt GEOTEST professionelle Geländeaufnahmen, die anschliessend photogrammetrisch ausgwertet werden können. Mittels dieser Modelle lassen sich Vermessungs- und Verschiebungsfragen lösen.
Herausforderung
Der instabile Bereich am Spitze Stei liegt vorwiegend in Mergel- und Kalkgesteinen der frühen Kreidezeit (160-140 Mio Jahre alt). Die basale Schwächezone liegt in einer Mergelschicht analog zur Schwächeschicht des Fisistock-Bergsturzes im Südwesten. Sie ist aufgrund der intensiven tektonischen Verfaltung in verschiedene Gleitflächen mit unterschiedlichen Bewegungsraten und -richtungen aufgetrennt. Mergel beschreibt eine Wechsellagerung von ton- und kalkreichen Schichten. Tonreiche Schichten können aufgrund ihres Gehalts an quellfähigen Tonmineralen als Stauerhorizonte wirken.
Permafrost umfasst rund 3% der Fläche der Schweizer Alpen. Die Rahmenbedingungen für Permafrost haben sich über die letzten Jahrzehnte infolge der rasch fortschreitenden Klimaerwärmung stark verändert. Die Permafrost-Degradation erhöht die Wasserdurchlässigkeit im Felsen und begünstigt dadurch die Destabilisierung der Bergflanke. Hohe Wasserdrücke können die Bewegungen weiter beschleunigen und stellen eine erhebliche Herausforderung für das Gefahrenmanagement dar.

Bohrungsarbeiten.
Die gesammelten Messdaten werden von unseren Fachleuten analysiert, um Gefährdungsflächen und Gefahrenstufen zu bestimmen. Für ein optimales Gefahrenmanagement wurde eine automatisierte Datenauswertung inklusive Prognoseberechnungen aufgebaut.

Karte Schneehöhen.

Arbeiten unter Extrembedingungen.

Aussicht auf Alpen.
Ergebnisse
Die kontinuierliche Überwachung und die Entwicklung präventiver Maßnahmen tragen dazu bei, die Risiken für die Bevölkerung und die Infrastruktur in der Region zu minimieren. Die gesammelten Daten und Analysen ermöglichen GEOTEST eine fundierte Beurteilung der Gefahrenlage und die rechtzeitige Kommunikation von notwendigen Maßnahmen. GEOTEST arbeitet eng mit der Gemeinde Kandersteg zusammen, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten.
Zum Schutz von Personen und Objekten, die sich im erwarteten Wirkungsbereich der gefährlichen Naturprozesse befinden, hat GEOTEST ein Sicherheitskonzept für das gesamte Gebiet der Gemeinde Kandersteg ausgearbeitet. Dieses berücksichtigt sowohl die möglichen Sturzprozesse als auch die nachfolgenden Murgänge.
Bei Bedarf werden der Gemeinde Kandersteg Maßnahmen wie Sperrungen oder Evakuierungen empfohlen. Eine dauerhafte Sperrzone für Abbrüche bis 200’000 Kubikmeter wurde eingerichtet, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten.

Verschütteter Bach in Kandersteg.
Die fortlaufende Messkampagne der GEOTEST sorgt für nachhaltig mehr Sicherheit im Tal.
Christian Kienholz, Projektleiter
Auftraggeberin